Es gibt ein neues Album von Nils Frahm – Music For Animals, welches in seiner Vinyl-Ausgabe bei mir selbst für etwas gerunzelte Stirn sorgt. Es geht nicht so sehr um die Musik. Die kann subjektiv gefallen oder nicht – als Fan stellt sich für mich die Frage eher nicht. Aber die Platte kratzt an einer Grenze was die technische Reproduktion von Vinyl angeht – wieviel leise Parts und Stille kann man auf eine Schallplatte pressen? Ist sie jetzt deshalb eine Referenzplatte oder eine einzige Orgie störender Geräuschlichkeit? Zeit mal drüber zu reden…

Um was geht es hier?

Nils Frahm - Music For Animals
Alle Rechte: 2022 Leiter Verlag – „Nils Frahm – Music For Animals“ – 2022/Vinyl/LPx4 – LTR019
Genre: Electronic Style: Ambient

Wie beim Thema meines Blogs zu vermuten geht es hier wieder mal um die Schallplatte. Gekauft wurde sie direkt beim Label Leiter – und es handelt sich um ein Album mit vier Platten (!) – aber keine Box – alle zusammen in einer recht einfachen Hülle im typischen Leiter-Design-Layout. Ein wenig windig. Wenn man die Platte eng im Regal lagert, dürfte sie alsbald Ring Wear zeigen. Daher lieber separieren, wenn es als Sammelobjekt gedacht ist.

Gepresst bei Optimal. Der Lackschnitt in Berlin bei schnittstelle. Die Auflage unterscheidet sich lustigerweise noch darin, ob die Innenhüllen von MoFi sind, oder eine andere Variante…So weit, so gut. Wahrlich in Summe eine schöne „Made In Germany“ Produktion.

Mobile Fidelity-Innenhüllen für „Music For Animals“

Was ist denn jetzt die Frage?

Habe lange mit mir gerungen, ob ich hier überhaupt dazu meine Meinung kund tun soll, so als überzeugter Vinyl-Käufer. Ich bin ein Fan von Nils Frahm – und habe so ziemlich alles, was er als musikalischen Output liefert, vorrätig. Ich bin es auch gewohnt, dass er es gerne mal „ruhig“ angehen lässt – da habe ich absolut kein Problem. Aber Music For Animals hat bei mir jetzt doch ein ums andere Mal für hochgezogene Augenbrauen gesorgt.

Denn dieses Album ist wirklich „Ambient“. Es geht sehr ruhig zu, um nicht zu sagen, quasi meditativ. Und mit einer Lauflänge von knapp über drei Stunden (!) braucht man auch wirklich Zeit, um das Werk überhaupt zu konsumieren. Ist am Stück alleine durch diese Länge schon recht schwierig in meinen Tagesablauf zu integrieren; so nutze ich dann eher einzelne Seiten des 4-Fach-Albums, um Stück für Stück da einzutauchen. Aber jetzt, da ich den Bericht dazu schreibe, lasse ich es parallel von Beginn an laufen, und es passt hervorragend zur Arbeit.

Nils Frahm - Briefly
Briefly (übersetzt: „…mal eben kurz…“) belegt über 27 Minuten Laufzeit auf der Plattenseite – schlimme Erinnerungen an alte Sampler Platten mit grausigem Sound werden wach – aber keine Sorge….!

Die Stücke sind wirklich lang – Spitzenreiter ist Seite E (Track 06 – „Briefly“) mit flockig über 27 Minuten Laufzeit. Jetzt sehe ich schon die Absicht einen Face Palm auszuführen – doch haltet ein! Nichts da! Der Sound ist völlig in Ordnung. Ausgedehnte Parts mit wenig Tiefbass lassen Platz für einen dynamisch verteilten Schnitt. Die Laufzeit sorgt also schon mal nicht für Probleme.
Das Gute daran außerdem – man kann die Platte auch nach 22 Uhr recht laut abspielen, da es die Nachbarn aktivierende Rhythmik-Passagen gar nicht gibt; also eine Scheibe für die Nacht-Vinyl-Session.

Die technische Grenze

Eigentlich möchte ich ein Bewusstsein dafür wecken, was auf Platte möglich ist, und was nicht – wo sollte man sich überlegen, ob man sich und der Musik eigentlich keinen Gefallen tut, wenn man sie unbedingt auf Vinyl kaufen will. Aus diesem aktuellem Anlass möchte ich ein paar Worte verlieren worüber man sich als Vinyl-Anfänger*in oder auch -Begeisterte*r klar sein sollte.

Vinyl setzt durch seine technische Basis einem Signal Grenzen. Technische Grenzen bezüglich einem Störabstand – nicht dadurch auch automatisch klangliche. Die Schallplatte selbst erzeugt durch ihre mechanische Abtastung immer ein gewisses Maß „Laufgeräusch“ des Tonabnehmers in der Rille, durch den Antrieb und leichte Unwuchten der Schallplatte selbst entstehen tieffrequente Störgeräusche – „Rumpeln“ liest man da als Begriff

Die Musik welche man hören will, muss lauter sein als dieser „Teppich“ aus Rauschen und Störungen, sonst wird sie davon maskiert. Der daraus resultierende technische Wert ist die Angabe des „Störabstandes“. Bei gutem Gerät sollten das nicht weniger als 60 bis 70 dB sein. Es geht auch noch besser. Aber es spielt eben nicht nur der Plattenspieler alleine, und die Methode zur Ermittlung variiert ebenso. Dazu vielleicht später einmal mehr (zum Vergleich: CD-Spieler liegen bei >90 dB / Die Schallplatte selbst hat andere Werte als das Laufwerk – Rumpelmesskoppler – s. u. bei den Links).

Wenn sich jetzt noch zusätzlich Staub und sonstiges auf der Oberfläche / in der Rille befindet, dann ist das bei höheren Lautstärken sehr störend. Erst recht wenn man mit seiner Kopie vielleicht nicht so viel Glück hatte, und das „Spratzeln“ überhand nimmt…dann gebrauchen viele oft das Wort „Kaminfeuer“. Die anglistische Sprachwelt redet gerne von „eggs and bacon“, um dem Höreindruck eine griffige Metapher zur Seite zu stellen. Bei meiner Kopie ist dies definitiv nicht der Fall – sie ist für Vinyl- Verhältnisse völlig einwandfrei, wenn nicht sogar sehr gut.

Es besteht der sehr begründete Verdacht, dass Summe und Maß an Nebengeräusch für den akustisch insgesamt gefälligen Sound einer Schallplatte (mit-)verantwortlich ist. Für die Adjektive, welche immer wieder in Verbindung mit analoger Wiedergabe gebraucht werden: „wärmere Wiedergabe / Schmelz / Natürlichkeit“. Konkret oder subjektiv – diese Erlebnisschilderung lässt die Annahme zu, dass es sich nicht um ein vernachlässigbares Einzelereignis handelt. Die Schallplatte bietet einem großen Teil der Musik-Fans ein „natürliches Hörerlebnis“ – daher hat dieses Medium noch immer seine Berechtigung. Beständiges knacksen ist damit nicht gemeint – solche Platten sind defekt und sollten getauscht werden.

Was ist die Herausforderung bei „Music For Animals“?

Um die vielen kleinen Details hörbar zu machen muss man am Dämpfungsglied (vulgo: Lautstärke-Regler) etwas „lauter machen“. Dann rücken all die vorgenannten Effekte in den Vordergrund und sorgen dafür, dass man an der Wiedergabe der Schallplatte vielleicht keine Freude findet – jeder noch so kleine Knackser ist dann sehr deutlich hörbar. Wie der tütenraschelnde Nachbar im Kino, oder permanentes Husten im leisesten pianissimo Teil der Oper.

Wie hört sich Stille an? Mögen Tiere diese Musik wirklich lieber als ein Album von Joe Jackson oder Madonna? Schwer zu sagen, auch weil mir gerade eine Test-Katze oder -Hund fehlt. Aber es ist erstaunlich, wie das Label / Schnitt und Hersteller es geschafft haben, tatsächlich all die leisen Details auf eine Plastikscheibe zu bannen, welche mit einem kleinen Edelsteinchen mechanisch ausgerüttelt wird. Das empfinde ich als meisterlich, daher ein dicker Daumen hoch an die schnittstelle in Berlin.

Jetzt ist in all dieser ultraleisen Musik aber wirklich einiges los. Es gibt einen ganz dezenten, absichtlich platzierten Geräusch-Teppich der nahezu jeden Song untermalt. Minimalst – und eben gerade noch so, dass er die Laufgeräusche des Vinyls geschickt maskiert bzw. gefühlt davon sogar ergänzt wird. Dazu gesellen sich allerhand Effekte. Rascheln, knarzen, knacken, blubbern, reiben und rasseln – die Kommentare bei Discogs lesen sich fast so als halten die Hörer*innen diese für Fehler im Vinyl – und so beanstanden manche den Sound Ihrer Kopie als eher schlecht.

Darf der das? Natürlich darf er. Und in meiner eigenen Aufnahme der Platte (was für eine Orgie in der Nachbearbeitung) bin ich persönlich mit dem Sound sehr zufrieden. Aber ich musste beim Entknacksen auf allerkleinste Details achten; eine langwierige Aufgabe. Aber da es sonst kaum Geräusche gibt, welche einem realen Knackser ähneln, kann hier die Automatik einer modernen DAW sehr gute Arbeit leisten – vom Original-Signal wird nichts entfernt oder zugegeben.

Ich empfehle daher: Ein High-Res-Download scheint dieser Art Musik eher entgegenzukommen. Viele Kompromisse sind beim Vinyl-Pendant einzugehen. Zu sehr brennen sich die Effekte, die man eher nicht hören will, ins Ohr. Oder – das ist die andere Alternative – man stellt sich der Herausforderung mit dem eigenen System und lauscht wirklich tief hinein – was kann man ertragen, ohne sich so gestört zu fühlen? Also Platte richtig ordentlich waschen, Nadel putzen – auf dass kein Staub oder ähnliches sich auf die Oberfläche verirrt. Ich denke auch Nass-Abspieler können hier einen realen Gewinn verbuchen. Das Album ist jedenfalls eine Herausforderung für das Equipment und den*die Hörer*innen. Diese anzunehmen macht mir persönlich besonders Spaß.

Nicht so analoge Links

– Beim Aufruf von externen Links/Videos werden ggf. persönliche Daten übertragen. –

Steff4NLGmusic

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